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Kapitel 4: Das Grüne Herz

Ich schaue zu Nox hinunter und frage mit einem schiefen Grinsen: "Sag mal, wie machen die beiden das eigentlich mit ihren Meistern? Ich wette, Thalon spricht in ein Florabbit, und das sendet die Nachricht dann telepathisch weiter." 

Nox' gelbe Augen funkeln, als hätte er den Witz verstanden. Ich kichere leise. "Und Aeloria? Die flüstert bestimmt einer ihrer tausend Blumen zu Hause was ins Ohr." Der Gedanke bringt mich zum Lachen. "Weißt du was? Ich glaube, damit liege ich gar nicht mal so falsch!"

Plötzlich höre ich eine bekannte Stimme: "Hey Lyra! Und hey Nox! Was macht der denn bei dir?"

Ich drehe mich um und sehe Darion auf uns zukommen. Sein blondes Haar glänzt in der Sonne, und seine blauen Augen strahlen vor Neugier. Trotz seiner kräftigen Schmiedearme wirkt sein Gesicht mit dem gepflegten Bart fast jungenhaft.

"Hey Darion", grüße ich zurück. "Ach, Nox hatte heute einfach Lust, bei mir zu sein."

Darion zieht skeptisch eine Augenbraue hoch. "Aha. Und das soll ich dir glauben?"

Ich zucke mit den Schultern und versuche, unbeschwert zu klingen. "Na ja, du kennst doch Nox. Der macht manchmal einfach, was er will."

"Stimmt schon", gibt Darion zu und tätschelt Nox' Kopf. "Wie auch immer, schön dich zu sehen. Wie läuft's in der Kräuterküche?"

"Ganz gut", antworte ich. "Ich bin gerade auf dem Weg dorthin."

"Sehr gut, ich schließe mich an. Ich brauche Brandsalbe für meinen Vater", erwidert Darion. 

Darion und ich schlendern gemeinsam in Richtung Kräuterküche, Nox trottet neben uns her. Es tut gut, mit Darion zu plaudern - seine unbeschwerte Art lenkt mich von meinen Sorgen ab.

"Brandsalbe für deinen Vater?", frage ich. "Hat er sich wieder in der Schmiede verbrannt?"

Darion nickt. "Ja, Nichts Schlimmes, aber besser, wir versorgen es ordentlich."

Ich lächle. Typisch Darion, immer fürsorglich. Seit wir Kinder waren, ist er mein bester Freund. Ich erinnere mich noch gut daran, wie er mir half, auf Bäume zu klettern oder mich tröstete, wenn ich mir das Knie aufgeschlagen hatte.

"Wie läuft's denn in der Schmiede?", frage ich.

Darions Augen leuchten auf. "Oh, fantastisch! Ich arbeite gerade an einem neuen Schwert. Es wird leichter sein, aber genauso stabil wie mein altes."

Ich höre ihm gerne zu, wenn er von seiner Arbeit erzählt. Seine Leidenschaft ist ansteckend.

"Und bei dir?", fragt er. 

Ich zögere kurz, denke an meine Kopfschmerzen und die seltsamen Träume. Aber ich will Darion nicht beunruhigen. "Ach, das Übliche", sage ich ausweichend. 

Als wir uns der Kräuterküche nähern, fällt mir wieder auf, wie schön das Gebäude ist. Das Holz des Smaragdwaldes schimmert leicht grünlich in der Sonne, und die kunstvollen Schnitzereien an Türen und Fenstern zeigen vertraute Pflanzen- und Tiermotive. Der üppige Kräutergarten, der das Haus umgibt, verströmt einen beruhigenden Duft.

Wir betreten das "Grüne Herz", und sofort umfängt uns geschäftiges Treiben. Der große, offene Hauptraum ist erfüllt von Stimmengewirr und dem Klappern von Mörsern. An mehreren Arbeitsstationen aus massivem Holz arbeiten Heiler und Lehrlinge konzentriert.

"Wow, hier ist ja heute was los", bemerkt Darion beeindruckt.

Ich nicke. "Ja, wir bereiten uns auf den Sommer vor. Da brauchen wir immer viele Tränke, die die Körpertemperatur senken, und Pflegeöle für Hitzeperioden."

Mein Blick schweift durch den Raum. Das natürliche Licht, das durch die großen Fenster fällt, lässt die Holzoberflächen warm schimmern. An den Wänden hängen Bündel trocknender Kräuter, ihr Duft vermischt sich mit dem der frisch zubereiteten Tränke.

"Ich hole schnell die Brandsalbe für dich", sage ich zu Darion. "Bin gleich wieder da."

Mit Nox an meiner Seite mache ich mich auf den Weg zum Lagerraum. Doch bevor ich ihn erreiche, höre ich eine vertraute Stimme.

"Lyra, Schatz!" Meine Mutter Elara kommt auf mich zu, ihre grünen Augen voller Sorge. "Wie geht es deinen Kopfschmerzen? Und warum ist Nox bei dir?"

Ich zögere kurz. Soll ich ihr alles erzählen? Nein, ich will sie nicht beunruhigen, nicht bevor ich mehr weiß.

"Es geht schon besser, Mama", antworte ich mit einem kleinen Lächeln. "Lori bereitet eine spezielle Medizin vor. Sie gibt sie mir später. Und Nox..." Ich zucke mit den Schultern. "Er wollte einfach mitkommen."

Mutter lächelt erleichtert. "Das beruhigt mich."

Sie beugt sich hinunter und tätschelt sanft Nox's Kopf. "Und danke dir, dass du auf unsere Lyra aufpasst", sagt sie zu dem Schattenwolf. Nox schnauft leise und lehnt sich an mein Bein.

"Ich hole schnell eine Brandsalbe für Darion aus dem Lager", erkläre ich. "Bin gleich wieder da."

Mutter nickt. "Natürlich, Liebes. Sei vorsichtig auf der Treppe zum Keller, ja?"

Ich verdrehe innerlich die Augen. Typisch Mutter, immer besorgt. Aber ich lächle nur und nicke. "Klar, Mama. Keine Sorge."

Ich öffne die Tür zum Lagerraum und blicke die steile Treppe hinunter. Der kühle Luftzug, der mir entgegenweht, trägt den erdigen Duft von getrockneten Kräutern mit sich. Im schwachen Licht, das von oben einfällt, kann ich die Umrisse von Regalen voller Gläser und Töpfe erkennen.

Vorsichtig steige ich die Stufen hinab, Nox dicht an meiner Seite. Seine Anwesenheit beruhigt mich, während wir tiefer in den dämmrigen Keller vordringen. Plötzlich, etwa auf halber Höhe der Treppe, durchzuckt ein stechender Schmerz meinen Kopf. Ich keuche auf, meine Sicht verschwimmt und Punkte tanzen vor meinen Augen.

Nicht schon wieder, Scheiße, alles um mich herum wird schwarz. 

In der Dunkelheit höre ich wieder diese fremde Stimme aus meinen Träumen. Sie klingt jetzt klarer, dringlicher, aber ich verstehe die Worte immer noch nicht. Ein Gefühl von Sorge und tiefer Traurigkeit überkommt mich.

Dann dringt eine vertraute Stimme zu mir durch: "Lyra! Hey, mach keinen Scheiß!"

Jemand rüttelt an mir. Langsam öffne ich die Augen und blinzle gegen das gedämpfte Licht. Ein Gesicht schwebt über mir, goldbraunes Fell, spitze Ohren, große blaue Augen voller Sorge.

"Shali?", murmele ich verwirrt.

Erleichterung huscht über Shalinas Gesicht. "Oh Aeonen sei Dank, du lebst", seufzt sie. Ihre Ohren, die eben noch angespannt aufgestellt waren, entspannen sich sichtlich.

Ich liege auf ihrem Schoß, spüre ihr weiches Fell an meiner Wange. Shalinas Augen weiten sich, als sie mich mustert, ihre Pupillen verengen sich zu schmalen Schlitzen.

"Was zum Teufel ist passiert, Lyra?", fragt sie, ihre Stimme eine Mischung aus Erleichterung und Besorgnis. 

Ich schaue kurz zur Seite und erkenne, dass ich wieder im Hauptraum der Kräuterküche bin. Die vertrauten Gerüche von getrockneten Kräutern und frisch gebrühten Tees umgeben mich. Verwirrt wende ich mich wieder Shalina zu.

"Sag du es mir", murmele ich, meine Stimme noch etwas schwach. "Warum lieg ich auf deinem Schoß und wie bin ich wieder hier hoch gekommen? Und was machst du überhaupt hier?"

Shalinas Schnurrhaare zucken nervös.

"Nox hat dich die Kellertreppe hochgetragen", erklärt sie, ihre Stimme zittert leicht. "In dem Moment, als ich zur Tür reinkam. Ich hab fast 'nen Herzinfarkt bekommen und bin sofort zu dir gerannt."

Ihre Augen weiten sich bei der Erinnerung, die Pupillen zu schmalen Schlitzen verengt. Ihr Schwanz peitscht unruhig hin und her.

"Du sahst aus, als wärst du... Ich dachte schon...", sie bricht ab, unfähig den Gedanken zu Ende zu führen. Stattdessen drückt sie mich fester an sich, ihr weiches Fell kitzelt mein Gesicht.

Ich erwidere Shalis Umarmung und flüstere: "Alles gut, so schnell wirst du mich nicht los." Ein schwaches Lächeln huscht über meine Lippen, als ich meinen Kopf wieder auf ihren Schoß sinken lasse. Die Wärme und Geborgenheit, die von ihr ausgeht, beruhigt mich.

Plötzlich spüre ich etwas Kühles auf meiner Stirn. Meine Mutter Elara legt einen feuchten Lappen auf meinen Kopf und murmelt besorgt: "Du glühst ja förmlich, Liebes."

Ich blinzle und schaue mich um. Die geschäftige Atmosphäre der Kräuterküche ist einer angespannten Stille gewichen. Alle Augen sind auf mich gerichtet, die Gesichter voller Sorge. Niemand arbeitet mehr, stattdessen haben sich alle um mich versammelt. 

Darion sitzt an meiner Seite, seine blauen Augen voller Unruhe. Nox stupst mich sanft mit seiner feuchten Nase an, sein gelber Blick liebevoll und besorgt zugleich.

"Mira", höre ich meine Mutter sagen, "reichst du mir bitte den Frosttau-Trank?"

Eine junge Heilkundige mit kupferfarbenem Haar nickt hastig und reicht Elara einen kleinen Flakon mit einer bläulich schimmernden Flüssigkeit. 

"Danke", sagt meine Mutter und nimmt den Trank entgegen. Vorsichtig hebt sie meinen Kopf an. "Hier, Schatz. Das wird deine Temperatur senken. Trink langsam."

Als ich den Trank schlucke, breitet sich eine angenehme Kühle in meinem Körper aus. 

Ich strecke meine Hand aus und streichle sanft Nox's Kopf. Seine gelben Augen sind voller Sorge auf mich gerichtet. "Danke dir", flüstere ich. "Du hast mir wohl das Leben gerettet."

Meine Mutter Elara streicht mir zärtlich über die Wange. Ihre Augen spiegeln tiefe Besorgnis wider. "War es wieder der Kopf ?", fragt sie sanft.

Bevor ich antworten kann, mischt sich Shali ein. Ihre Katzenohren zucken nervös. "Was ist mit Lyras Kopf?", fragt sie, ihre Stimme voller Sorge.

Ich atme tief durch und versuche, meine Gedanken zu ordnen. "Ich hatte wieder dieses Stechen im Kopf", erkläre ich langsam. "Aber diesmal wurde alles verschwommen und dann... dann lag ich plötzlich hier auf Shalis Schoß."

Shali's Augen weiten sich. "Moment mal, Lyra! Du hast schon länger Kopfschmerzen? Und du sagst mir nichts davon?" Ihre Ohren legen sich flach an ihren Kopf, ein deutliches Zeichen ihrer Verärgerung.

Ich spüre einen Stich der Schuld in meiner Brust. Natürlich hat Shali Recht, ich hätte es ihr sagen sollen. Sie ist meine beste Freundin, und ich habe ihr etwas so Wichtiges verschwiegen.

"Es tut mir leid, Shali", flüstere ich und greife nach ihrer Hand. "Ich wollte dich nicht beunruhigen. Ich dachte, es würde von alleine weggehen."

Shali seufzt. "Wir sind doch Freunde. Du kannst mir alles erzählen, auch wenn es beunruhigend ist."

Darion, der bisher still daneben saß, mischt sich nun ein. Seine Stimme klingt angespannt. "Ich hoffe wirklich, dass Lori eine gute Idee hat. Das hier wirkt verdammt ernst."

Seine Worte lassen die Atmosphäre im Raum noch schwerer werden. Ich sehe zu meiner Mutter hinüber. Ihr Gesicht ist eine Mischung aus Sorge und Verzweiflung. Ihre Gedanken scheinen hin und her zu huschen, aber eine Lösung scheint sich nicht zu offenbaren.

"Mama, es wird alles gut", sage ich mit einem schwachen Lächeln. "Lori wird schon eine Lösung finden. Wenn jemand das kann, dann sie."

Langsam richte ich mich auf, spüre, wie der Trank seine Wirkung entfaltet. Die Hitze in meinem Körper lässt nach, und ich fühle, wie meine Kräfte zurückkehren. Vorsichtig setze ich mich neben Shali auf, eine Hand noch immer an meiner Schläfe. Ich taste in mich hinein, prüfe, ob der Schwindel nachlässt.

"Geht es dir wirklich besser?", fragt Darion leise.

Ich nicke vorsichtig. "Ja, es wird langsam. Der Trank hilft."

Shali legt sanft eine Hand auf meinen Arm. "Du musst uns versprechen, dass du uns in Zukunft alles sagst."

"Okay", antworte ich und drücke ihre Hand.

Meine Mutter kniet sich neben mich. "Hauptsache, es geht dir jetzt erst einmal besser. Aber wir müssen der Sache auf den Grund gehen."

Ich spüre, wie meine Wangen vor Verlegenheit zu glühen beginnen. Erst jetzt nehme ich wirklich wahr, dass tatsächlich alle Augen auf mich gerichtet sind, besorgte Blicke von allen Seiten. Die Situation wird plötzlich unerträglich. Am liebsten würde ich im Boden versinken oder in meinen benebelten Zustand zurückkehren, in dem mir das alles scheinbar scheiß egal war.

"Ich... ich glaube, ich brauche etwas frische Luft", stammle ich. In Wahrheit will ich nur so schnell wie möglich aus dieser peinlichen Lage entkommen.

Shali nickt verständnisvoll. "Das ist eine gute Idee", sagt sie und greift sanft nach meinem Arm, um mir aufzuhelfen. Dankbar lasse ich mich von ihr stützen.

Darion steht ebenfalls auf. "Ich komme mit", erklärt er entschlossen. Eine der Heilerinnen reicht ihm die Brandsalbe, die ich eigentlich holen wollte. Sie muss mitbekommen haben, warum ich in den Keller gegangen war.

Meine Mutter Elara folgt uns ebenfalls, ihre Augen voller Sorge.

Nox trottet neben uns her, sein wachsamer Blick auf mich gerichtet. Ich bin dankbar für seine stille Präsenz.

Als wir ins Freie treten, atme ich tief durch. Die frische Luft füllt meine Lungen, und ich spüre, wie sich der Druck in meiner Brust ein wenig löst. 

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