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Kapitel 3: Seelenschänder

 

Aeloria öffnet die Tür, und sofort erklingt Thalons tiefe Stimme: "Hey Lori, ich hoffe, es ist wichtig."

"Wenn ich meine Pflanzen sende, ist es immer wichtig", erwidert Aeloria trocken. "Komm doch bitte herein."

Thalon betritt den Raum und wirkt überrascht, als er mich sieht. "Lyra? Was machst du denn hier?"

Ich zwinge mich zu einem schwachen Lächeln und winke halbherzig. "Hi Thalon." Mein Magen zieht sich zusammen. Die ganze Situation ist mir unangenehm, und ich wünschte, ich wäre nie hergekommen.

Thalon sieht beeindruckend aus wie immer mit seinem gepflegten Drei-Tage-Bart. Das wilde Haar fällt ihm über die Schultern, und die braunen Augen funkeln vor Neugierde. Seine kräftige Gestalt füllt den Raum, und ich kann die Aura seiner Verbindung zu Luphar schon fast spüren.

Aeloria fasst die Situation kurz zusammen, und Thalons Miene wird ernst. Er nickt verstehend und wendet sich dann mir zu. "Lyra, wäre es okay, wenn ich auch mal nachschaue?"

Ich schlucke schwer. Die Vorstellung, dass zwei Archonen in meinem Kopf herumstochern, ist alles andere als beruhigend. Aber was bleibt mir übrig?

"Thalon", mahnt Aeloria sanft, "sei sehr vorsichtig. Was auch immer es ist, es sollte nicht bemerken, dass wir von ihm wissen."

Na super, Das wird ja immer besser. Ein Fremdkörper in meinem Kopf, der nicht merken soll, dass wir ihn entdeckt haben? Mein Herz rast, und ich spüre, wie sich kalter Schweiß auf meiner Stirn bildet.

Thalon setzt sich mir gegenüber und legt seine Hände an meine Schläfen, genau wie Aeloria zuvor.  Seine Augen beginnen zu glühen, bevor er sie schließt. Ich bemerke, wie sein Amulett sanft zu vibrieren beginnt und spüre sofort den Unterschied. Wo Aelorias Berührung sanft und beruhigend war, fühlt sich Thalons Präsenz wild und roh an. Es ist, als würde ein Sturm durch meinen Kopf fegen, unbändig und kraftvoll. Die Energie, die durch mich fließt, ist intensiv und ein wenig beängstigend. Es fühlt sich an, als würde jede Faser meines Körpers pulsieren.

Plötzlich zuckt Thalon zurück, seine Augen weit aufgerissen vor Wut. "Seelenschänder!", knurrt er und spuckt auf den Boden. "Dem reiß ich den Kopf ab!"

Mein Herz rast. Seelenschänder? Was meint er damit?

Aeloria bleibt erstaunlich ruhig. Mit einer eleganten Handbewegung lässt sie eine ihrer Pflanzen die Spucke wegwischen. "Beruhige dich, Thalon", sagt sie beschwichtigend. "Das befürchte ich auch, aber er ist sehr unvorsichtig, was mich stutzig macht. Sie gehen normalerweise subtiler vor."

Ich sitze wie erstarrt da, unfähig, die Worte zu verarbeiten, die um mich herum fallen. Angst kriecht mir den Rücken hinauf, kalt und lähmend. Was geht hier vor? Was ist in meinem Kopf?

"Was... was meint ihr?", bringe ich schließlich hervor, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. "Was ist ein Seelenschänder?"

Aelorias sanfte Stimme durchbricht die angespannte Stille. "Ein Psycholyth, oder Seelenschänder, ist ein Archon des Aeons Mentis, der die Kontrolle über die Seelen intelligenter Wesen anstrebt."

Ich spüre, wie sich mein Magen zusammenzieht. Meine Hände beginnen zu zittern.

"Sie können Gedanken kontrollieren, Seelen extrahieren und Erinnerungen manipulieren", fährt Aeloria fort, ihre Stimme ruhig, aber ernst. "Ihre Existenz und Praktiken sind in ganz Sylvanor verboten."

Thalon ballt die Fäuste, sein Gesicht vor Wut verzerrt. Ich habe ihn noch nie so aufgebracht gesehen.

"Aber", sagt Aeloria nachdenklich, "es ergibt keinen Sinn. Warum sollte ein Psycholyth ausgerechnet dich als Ziel wählen, Lyra?"

Ich schlucke schwer. "Was... was meinst du?"

"Normalerweise infiltrieren sie den Geist und die Seele von hochrangigen Persönlichkeiten", erklärt Aeloria. "Nicht den einer einfachen Heilerin in einem Bauerndorf. Ohne dich beleidigen zu wollen."

Thalons Augen weiten sich. Die Wut in seinem Blick weicht Neugierde. "Du hast Recht", murmelt er. "Das ist... ungewöhnlich."

Ich sehe zwischen den beiden hin und her, mein Herz rast. "Was bedeutet das?", frage ich, meine Stimme zittert leicht.

Aeloria und Thalon tauschen einen bedeutungsvollen Blick aus. 

"Das", sagt Thalon langsam, "ist eine verdammt gute Frage."

Eine Erinnerung blitzt in meinem Kopf auf. "Was ist mit dieser seltsamen Stimme, die ich manchmal höre? Ist das normal bei einem Psycholyth?"

Lori runzelt die Stirn. "Eigentlich nicht. Laut den alten Schriften gehen Psycholythen sehr subtil vor. Sie bleiben verborgen, bis sie den Geist gebrochen haben. Von Stimmen, Träumen und Kopfschmerzen steht in den Aufzeichnungen nichts."

Plötzlich ertönt ein leises Klopfen und Kratzen an der Tür.

Thalon wendet seinen Blick zur Tür. "Oh, das ist Nox", sagt er. "Ihm wird es draußen wohl langweilig."

Er steht auf und öffnet die Tür. Herein trottet ein beeindruckender Schattenwolf. Sein tiefschwarzes Fell glänzt im Licht, und seine leuchtend gelben Augen scheinen direkt in meine Seele zu blicken. 

Trotz der ernsten Situation kann ich nicht anders, als den majestätischen Wolf zu bewundern. Seine Präsenz hat etwas Beruhigendes.

Nox kommt zu mir herüber und legt seinen Kopf sanft auf mein Knie. Instinktiv beginne ich, sein weiches Fell zu streicheln. Für einen Moment vergesse ich fast meine Sorgen, verloren in der tröstlichen Wärme des Schattenwolfs.

"Oder er hat gespürt, dass ich mir verdammt große Sorgen um unsere Lyra mache", sagt Thalon sanft.

Ich beobachte, wie Thalon und Nox sich ansehen.  Die Verbindung zwischen den beiden ist faszinierend - mehr als nur Mensch und Tier, sondern zwei Seelen, die sich perfekt verstehen.

"Was machen wir nun?", frage ich zaghaft. Die Ungewissheit macht mich wahnsinnig.

Thalon und Aeloria tauschen Blicke aus. 

"Wenn wir keine anderen Ideen haben, gehe ich von einem Seelenschänder aus", sagt Thalon schließlich. "Ich habe eine Idee, wie wir ihn aufspüren könnten."

Aeloria nickt zögernd. "Auch wenn ich nicht ganz von einem Psycholyth überzeugt bin - falls es doch einer ist, ist Eile geboten. Was schlägst du vor?"

"Ich möchte mich zuhause mit meinem Meister in Verbindung setzen", erklärt Thalon. "Um das Ritual genau auszuarbeiten. Ich will keine Fehler machen."

"Eine gute Idee", stimmt Aeloria zu. "Ich werde auch meine Meisterin kontaktieren und um Rat bitten."

Ich schlucke schwer. Ein Ritual? 

"Was genau meinst du mit 'Ritual'?", frage ich nervös. Das Wort allein lässt mich erschaudern.

Thalon legt beruhigend seine Hand auf meine Schulter. "Keine Sorge, Lyra. Es hört sich schlimmer an, als es ist. Ich erkläre dir später alles genau. Vertrau uns einfach, okay?"

Sein warmer Blick gibt mir etwas Sicherheit, aber die Anspannung bleibt. "Und was soll ich jetzt machen? Ich meine, mit diesem... Ding in meinem Kopf?"

Aeloria antwortet, ihr Gesicht voller Mitgefühl. "Ich weiß, es ist schwer, aber versuche, deinen Tag ganz normal weiterzuführen. Mach einfach das, was du für heute geplant hattest."

"Aber-", setze ich an.

"Thalon und ich kümmern uns um alles", unterbricht mich Aeloria sanft. "Wir melden uns später bei dir, versprochen. Bis dahin ist es am besten, wenn du dich ablenkst und nicht zu viel grübelst."

Ich nicke zögernd. Sie haben wohl recht, auch wenn es mir schwerfällt, einfach so zu tun, als wäre alles normal.

In diesem Moment spüre ich etwas Weiches an meiner Hand. Nox stupst mich sanft an. Unwillkürlich muss ich lächeln und kraule ihn hinter den Ohren. Seine Anwesenheit hat etwas unglaublich Beruhigendes. 

"Na gut", sage ich schließlich. "Ich versuche, mich abzulenken. Aber bitte, lasst mich nicht zu lange warten."

"Wir melden uns später, versprochen", sagt Aeloria noch einmal. Ich nicke nur stumm.

Als ich mich umdrehe, um zu gehen, spüre ich plötzlich Nox' warmen Körper an meiner Seite. Der große Schattenwolf weicht nicht von mir, als hätte Thalon ihm aufgetragen, bei mir zu bleiben. Dankbar vergrabe ich meine Finger in seinem dichten Fell.

Gemeinsam treten wir aus Aelorias Haus. Die Sonne blendet mich kurz, und ich blinzle. Der Tag geht weiter, als wäre nichts geschehen. Vögel zwitschern in den Bäumen, ein leichter Wind streicht durch die Blätter. Es fühlt sich surreal an.

Nox stupst mich sanft an. Sein gelber Blick scheint zu fragen: "Wohin jetzt?"

Ich atme tief durch. "Zur Kräuterküche", murmele ich. "Ablenkung suchen."

Mit einem letzten Blick auf Aelorias Haus mache ich mich auf den Weg, Nox treu an meiner Seite. Die Sorge sitzt mir immer noch im Nacken, aber die Anwesenheit des Schattenwolfs gibt mir etwas Kraft. Einen Fuß vor den anderen, sage ich mir. Einfach weitermachen.

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