Chapter 2: Fremdkörper
Ich nähere mich Aelorias Haus, ein wahres Naturwunder. Ranken und Blumen umschlingen die Wände, als wären sie ein lebendiger Teil des Gebäudes. Der Eingang wird von zwei prächtigen Weidenbäumen flankiert, deren Zweige einen natürlichen Bogen bilden.
Mit einem leichten Lächeln klopfe ich an die mit Blättermustern verzierte Holztür. Kurz darauf öffnet sich diese, und Aeloria steht vor mir, ihr Gesicht strahlt vor Freude.
"Lyra! Was für eine schöne Überraschung!", begrüßt sie mich herzlich.
"Hallo Lori", erwidere ich lächelnd. "Ich hoffe, ich störe nicht?"
Ich betrachte meine Freundin. Ihr welliges, dunkelbraunes Haar ist heute mit zarten Wildblumen geschmückt, die perfekt zu ihren leuchtend grünen Augen passen. Ihre helle, leicht schimmernde Haut und die langen, spitzen Ohren verraten ihre elfische Abstammung. Wie immer trägt sie ein Gewand aus feinen Pflanzenfasern.
"Komm doch bitte rein", lädt Aeloria mich ein und macht eine einladende Geste.
Ich folge ihr ins Innere und finde mich sofort von üppiger Vegetation umgeben. An den Wänden winden sich Ranken empor, während Farne und Moose den Boden bedecken. Frische Kräuter und Blüten erfüllen die Luft mit ihrem Duft. Zwischen den Pflanzen entdecke ich geschickt integrierte Möbel aus natürlichem Holz. Wir lassen uns auf weichen Polstersesseln nieder.
"Wie geht's dir, Lori?", frage ich und lehne mich entspannt zurück. "Ist etwas Spannendes passiert in letzter Zeit?"
Aeloria lacht leise. "Oh, du kennst mich doch. Ich verbringe die meiste Zeit damit, mich um den Wald zu kümmern. Gestern hatte ich ein faszinierendes Gespräch mit einer uralten Eiche. Sie hat mir Geschichten erzählt, die Jahrhunderte zurückreichen."
Ich schüttle grinsend den Kopf. "Ich weiß nie, ob du das ernst meinst oder mich auf den Arm nimmst."
"Was ist mit dir?", fragt sie neugierig. "Was treibt dich so früh am Morgen zu mir?"
"Ach, ich dachte, ich schaue mal vorbei, bevor ich in die Kräuterküche gehe", antworte ich ausweichend.
"Lyra", sagt Aeloria mit einem eindringlichen Blick.
Ich halte diesem Blick kurz stand, bis ich schlussendlich einknicke.
"Na gut", seufze ich und streiche mir eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. "Es sind diese verdammten Kopfschmerzen."
Aeloria lehnt sich vor. "Kopfschmerzen? Seit wann hast du die?"
"Seit etwa zwei Monaten", gebe ich zu und massiere meine Schläfen. "Am Anfang war es nur ab und zu, aber jetzt ... Es wird von Woche zu Woche schlimmer."
"Lyra!", Aeloria klingt bestürzt. "Warum kommst du erst jetzt zu mir?"
Ich zucke mit den Schultern und vermeide ihren Blick. "Ich dachte, es geht vorbei."
Aeloria seufzt und greift nach meiner Hand. "Lass mich mal sehen."
Als Aelorias kühle Finger meine Schläfen berühren, fangen ihre Augen an zu glühen. Sie sammelt Energie. Ihr Talisman beginnt sanft zu vibrieren, als sie die Augen schließt. Ich spüre, wie eine beruhigende Energie von ihr ausgeht. Meine Anspannung löst sich langsam, während ich ihre Konzentration förmlich in der Luft knistern spüre.
Die Energie fließt durch meinen Körper wie ein kühler Bach an einem heißen Sommertag. Es fühlt sich an, als würde Aeloria behutsam durch die Windungen meines Geistes wandern, jeden Winkel sanft erforschend. Ein leichtes Kribbeln breitet sich in meinem Kopf aus, nicht unangenehm, eher wie eine sanfte Massage von innen.
"Hmmm", murmelt sie nach einer Weile. "Ich spüre da etwas... Seltsames. Es ist, als ob..."
Sie bricht ab und runzelt die Stirn. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen.
"Als ob was?", frage ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Aeloria öffnet die Augen und sieht mich nachdenklich an. Ihr Blick ist intensiv, fast beunruhigend. "Es ist schwer zu beschreiben. Fast wie ein... Fremdkörper in deinem Geist."
Mein Magen zieht sich zusammen. "Ein Fremdkörper? Was meinst du damit?"
Sie seufzt tief. "Das wird nicht einfach. Auch ist die Frage, wo er herkommt."
Ich sehe, wie sie die Stirn runzelt, tief in Gedanken versunken. "Können wir ihn nicht einfach entfernen?", frage ich hoffnungsvoll.
Aeloria schüttelt sanft den Kopf. "Ich möchte ihn nicht gewaltsam rausdrängen. Das könnte gefährlich für dich sein, Lyra."
Ich spüre, wie sich mein Magen zusammenzieht. Ein Fremdkörper in meinem Kopf? Das klingt beängstigend. Ich hatte gehofft, Aeloria würde mir einfach einen ihrer magischen Tees brauen oder eine Salbe geben, und das Problem wäre gelöst.
"Lyra", unterbricht Aeloria meine Gedanken, "hast du sonst noch irgendwelche seltsamen Symptome bemerkt?"
Ich zögere kurz, dann fällt mir ein. "Nun ja, da wären diese merkwürdigen Träume..."
Aelorias Augenbrauen schießen nach oben. "Träume? Was für Träume?"
"Sie sind... verwirrend. Ich höre Stimmen in einer Sprache, die ich nicht kenne. Und sie werden häufiger, genau wie die Kopfschmerzen."
"Verdammt", murmelt Aeloria und verfällt wieder in Gedanken während sie an ihren Nägeln kaut.
Ich rutsche unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Die Stille im Raum ist erdrückend, nur unterbrochen vom sanften Rascheln der Pflanzen, die Aelorias Haus durchziehen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hebt Aeloria den Kopf. "Ich denke, wir sollten Thalon mit einbeziehen."
"Thalon?", frage ich überrascht. "Was wollen wir mit Thalon?"
"Er ist ein Archon wie ich", erklärt Aeloria. "Er hat die Magie studiert und Magie scheint hier das Problem zu sein, ich brauche eine zweite Meinung."
Ich nicke zögernd. Die Idee, noch jemanden in diese seltsame Situation einzuweihen, gefällt mir nicht besonders. Aber wenn es hilft.
"In Ordnung", sage ich schließlich.
Ich beobachte fasziniert, wie Aeloria zu einer ihrer zahlreichen Pflanzen geht und sanft ein Blatt berührt. Sie flüstert der Pflanze etwas zu, und ich schwöre, ich sehe die Pflanze nicken.
Aeloria dreht sich zu mir um. "Thalon müsste gleich hier sein. Er ist am Dorfplatz."
Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie die Nachricht durch die Pflanzen weitergegeben wird - ein sanftes Peitschen und Zeigen der Pflanzen in Richtung von Loris Haus. Mir ist es auch schon oft so ergangen.
Nach einer Weile, während wir warten, kann ich meine Neugier nicht länger zügeln. "Lori, hast du eine Vermutung, was es sein könnte?", frage ich.
Sie zögert kurz. "Ja, die habe ich. Aber ich möchte sie für mich behalten, bis Thalon sich ein Bild gemacht hat. Zwei Meinungen sind in diesem Fall besser als eine."
Ihre Antwort beruhigt mich nicht gerade, aber ich respektiere ihre Entscheidung. Plötzlich klopft es an der Tür. Aeloria steht auf, um zu öffnen.
"Das wird Thalon sein", sagt sie und geht zur Tür.
Mein Herz klopft schneller. Was auch immer mit mir los ist, es scheint ernst genug zu sein, um zwei Archonen zu beschäftigen. Ich atme tief durch und versuche, ruhig zu bleiben, während ich auf Thalons Eintreten warte.